Schutz vor Abschiebung
Kirchenasyl in Gerblingerode
Gerblingerode. „Könnt Ihr Euch vorstellen, einer Flüchtlingsfamilie Kirchenasyl in Gerblingerode zu gewähren?“ Diese Frage wurde von einer ehrenamtlichen Betreuerin an den KGR von St. Maria Geburt gestellt und hat uns in den letzten Monaten nachhaltig beschäftigt und verändert.
Nachdem wir die Notsituation verstanden hatten, galt es zunächst die Zustimmung des Propstes, des KGR, des PGR und des KV zu erhalten, um eine breite Basis für die Entscheidung zu haben.
Kirchenasyl. Ein schlichtes Wort voll Hoffnung für Menschen in ausweglosen Situationen. Wer allerdings glaubt, dass sich Hilfesuchende in höchster Not in das Haus Gottes retten und dort am Altar weltliche Erlösung erfahren, muss sich von dieser romantischen Vorstellung gleich verabschieden. Im Kirchenraum gelten die gleichen Gesetze wie überall in Deutschland. Die Behörden tolerieren aber die vorübergehende Aufnahme von Flüchtlingen durch eine Pfarrei oder Kirchengemeinde zur Abwendung einer Abschiebung, wenn diese von den Gemeindemitgliedern als für die Schutzsuchenden bedrohlich für Leib und Leben angesehen wird.
Sehr hilfreich war für uns die „Handreichung zu aktuellen Fragen des Kirchenasyls“ der deutschen Bischöfe. Überdies arbeitet im Generalvikariat in Hildesheim eine Justiziarin, die bestens über das Verfahren informiert ist und uns nach Kräften unterstützt hat. Die Caritas in Duderstadt und eine Anwältin für Asylrecht aus Göttingen standen uns ebenfalls beratend zur Seite, denn es mussten zahllose Formalitäten und Fristen eingehalten werden, um den Asylsuchenden nicht zu schaden.
Rückblick
Am Mittwoch, den 29. März 2017 bezog eine junge Mutter mit 2 Kindern die Gemeinderäume der Kirche „St. Maria Geburt“ in Gerblingerode. Infolge der Dublin-III-Verordnung drohte ihr die Abschiebung nach Schweden und weiter nach Pakistan – und dort vermutlich Misshandlung und Tod. Es galt, die kleine Familie bis Mitte Mai in Deutschland zu halten, um hier ein ordentliches Asylverfahren eröffnen zu können. Mutter und Kinder lebten zu diesem Zeitpunkt bereits seit über einem Jahr in Mingerode und waren gut integriert. Alle 3 sprechen gutes Deutsch, die Kinder besuchen eine Duderstädter Schule, die Mutter ist bei der GAP beschäftigt.
Nach Absprache mit KGR, KV, PGR, ehrenamtlichen Helfern, Bürgermeister und Propst Galluschke erklärte sich der Kirchort Gerblingerode zur Aufnahme der Familie bereit, da dessen Räumlichkeiten, wenn auch nicht optimal, am besten für einen längeren Aufenthalt geeignet waren.
Bei einem ersten Informationstreffen erklärten spontan mehr als 20 Personen ihre Bereitschaft zur Mithilfe. Als „Sofortmaßnahme“ erhielt die Familie ein großes Poster mit Fotos und Telefonnummern aller Helfer. So konnte sichergestellt werden, dass Mutter und Kinder von Anfang an wussten, wer täglich bei Ihnen ein- und ausgehen würde, und welche Helfer kontaktiert werden mussten, wenn etwas benötigt wurde.
Die praktischen Dinge der Versorgung waren schnell geregelt: Einkaufen, Waschen, ein Fahrdienst für die Kinder, die Umstellung des Pfarrheims auf „Wohnbetrieb“. Alles lief reibungslos und immer Hand in Hand. Aber hinter der alltäglichen Logistik stehen immer Menschen. Eine junge Frau mit ihren Kindern, die ohne Ansprache und Ausgang allmählich in die soziale Isolation abgleiten würde.
Die Kinder durften das Gebäude verlassen. Sie gingen zur Schule, fuhren zur Klassenfahrt, besuchten die örtliche Ferienbetreuung und gleichaltrige Kinder im Dorf, um mit ihnen im Garten oder am Computer zu spielen. Dank der Ehrenamtlichen können beide jetzt schwimmen und kennen sich mit den Verkehrsregeln beim Fahrradfahren gut aus.
Besonders für die Mutter wurde ein „Betreuungsprogramm“ entworfen. Jeden Tag gingen, einzeln oder in kleinen Gruppen, die Helfer zum Besuch der Dauergäste. Sie kochten zusammen, nähten, grillten abends spontan mit ihren Familien, zeigten sich gegenseitig Bücher, Videos, blätterten gemeinsam im Weltatlas und langsam, ganz langsam, entwickelte sich von einem zaghaften Lächeln auf beiden Seiten eine erste Vertrautheit bis hin zur Freundschaft. Da konnte man auch herzhaft zusammen lachen oder lebhaft Religionsfragen diskutieren. Die Familie nahm an allen Veranstaltungen im Pfarrheim – von der Carena-Gruppe, über die Gottesdienste und Kreuzwege bis hin zum Kinderchor – sehr interessiert und wie selbstverständlich teil.
Am 19.05.2017 konnten wir das Kirchenasyl beenden, weil die Familie jetzt den Anspruch auf ein ordentliches Asylverfahren in Deutschland hat.
Fazit
Wir waren sehr erstaunt, dass so viele unterschiedliche Menschen ohne zu zögern, von Herzen und nach Kräften geholfen haben. Jede Person war wichtig und hat sich mit ihren Fähigkeiten und ihrer Zeit so eingebracht, wie sie es konnte. Einige haben uns auch spontan mit Geld unterstützt.
Die beiden Kinder, die durch das Leben in Pakistan und die lange Flucht traumatisiert sind, haben Vertrauen gefasst. Sie haben gespürt, dass Menschen es gut mit ihnen meinen.
Die Offenheit Fremden gegenüber hat uns auch füreinander wieder mehr geöffnet. Wir haben Vorurteile abgebaut, Freundschaften geschlossen und dabei erfahren: Der Einsatz für andere ist immer auch ein Einsatz für uns selbst.
Christiane Nörthemann